2024-04

Einer unserer über 600 Skelettmuskeln ist der Musculus soleus (übersetzt Schollenmuskel – nicht etwa Sohlenmuskel oder Sonnenmuskel oder ähnliches wie das unfehlbare Internet manchmal behauptet). Seinen Namen hat er erhalten, weil er flach wie eine Scholle unterhalb des zweiköpfigen Wadenmuskels liegt. Beim trainierten Menschen, bei dem man auch den sehnigen Einschnitt zwischen den Wadenmuskeln (M. gastrocnemius) sehen kann, sind die Ränder des Soleus innerhalb und besonders außerhalb der beiden Muskelköpfe zu erkennen. Gemeinsam mit einem dritten Muskel, dem M. plantaris wird die komplette Wadenmuskulatur (M. triceps surae) gebildet, dessen Hauptaufgabe es ist, in den Zehenstand zu kommen. Mit Hilfe der Achillessehne, die alle diese Muskeln als Kraftübertragung nützen, wird die Ferse angehoben und damit eine sogenannte Plantarflexion (Fußsohlenbeugung) bzw. der Zehenstand durchgeführt.

Erst 1992 konnte man erforschen, dass der Soleus bis zu 80 Prozent der Plantarflexion übernimmt und nicht wie früher angenommen, der Gastrocnemius dafür verantwortlich sei. (Fukunaga et al.) Schon länger bekannt war seine besonders wichtige Funktion als Muskelpumpe. Selbst beim Stehen wird der venöse Rückfluss in Richtung des Herzens unterstützt, da die betroffenen Venen direkt durch das Muskelgewebe verlaufen.

Das Neue und Spannende an diesem Muskel ist jedoch seine Ernährung. Während der Rest der Muskulatur üblicherweise auf Glykogenspeicher zurückgreift, wenn Energie benötigt wird, holt sich der M. soleus seine Nahrung aus Fett und Blutzucker. Weniger abhängig vom Kohlenhydratstoffwechsel ist dieser Muskel nicht leicht zu ermüden und enorm leistungsfähig. Außerdem bestehen die Fibrillen des menschlichen Soleus bis zu 100 Prozent aus sogenannten Slow-Twitch-Fasern (Gollnick et al. 1974). Slow-Twitch-Fasern sind langsam zuckende Muskelfasern oder auch S-Fasern genannt, die wir vermehrt in der auf Ausdauer ausgelegten Haltemuskulatur finden.

In zahlreichen Studien wurde bewiesen, dass durch die gesteigerte und spezifische Aktivierung des M. soleus der Fettstoffwechsel mehr als verdoppelt wurde und es zu einer eklatanten Absenkung der bösen Blutfette wie LDL- und VLDL-Triglyceride kam. Der Blutzuckerwert sank durchschnittlich um 52 Prozent, der Insulinbedarf- und die einhergehende Produktion nach der Verabreichung eines zuckerhaltigen Getränks sank um etwa 60 Prozent (Hamilton et al. 2022).

Nun sollte man meinen, dass beim Gehen oder beim Laufen (falls man das tut) der Soleus ohnehin ausreichend bewegt wird. Der menschliche Organismus ist allerdings immer darauf ausgerichtet, möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Das ist ein Überlebensprinzip, das auch beim Gehen Anwendung findet, was bedeutet, der gewünschte erhöhte Energieverbrauch tritt gar nicht ein. Doch dafür ist die Sache weitaus einfacher und selbst für die Unsportlichsten, welche diese Übung am meisten benötigen, leicht ausführbar.

Beim Wadenheben im Stehen arbeitet der Gastrocnemius mit und es kommt schneller zu Ermüdungserscheinungen. Das Wadenheben im Sitzen hingegen wird fast ausschließlich vom Soleus durchgeführt. Deswegen funktioniert die Übung so:

Im Sitzen werden die im Knie angewinkelten Beine mit den Füßen flach auf den Boden gestellt. Die Muskeln sind vorerst entspannt, dann werden die Fersen maximal angehoben während der vordere Teil des Fußes am Boden bleibt. Nach einer bis zwei Sekunden erfolgt die Entspannung, indem man die Ferse wieder absetzt oder sogar zurückfallen lässt. Dieser Vorgang wird wiederholt – genau genommen, kann man dabei nichts falsch machen und ebenso wenig zu viel machen.

Marc Hamilton, der Entdecker dieser Besonderheiten des M. soleus sprach vor eineinhalb Jahren von der wichtigsten Studie, die jemals in seinem Metabolic Innovations-Labor in Houston durchgeführt wurde und von einem Durchbruch im Gesundheitswesen.  Obwohl der kleine Soleus nur etwa ein Prozent des Körpergewichts ausmacht, ist er in der Lage, den Stoffwechsel nachhaltig zu aktivieren. Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass es sich dabei weder um einen Fitnesstrend noch um eine erfundene Methode zum Abnehmen handelt, sondern um eine Möglichkeit, das mittlerweile als sehr gesundheitsschädlich eingestufte Sitzen als Training nützen zu können.

Also wippen Sie bitte dann und wann unter Ihrem Schreibtisch, motivieren Sie Ihren Musculus Soleus, dass er Ihnen helfe, gesund zu bleiben!

2024-05

Gengans!

Das geschriebene „Gengans“ sieht auf den ersten Blick wie ein französisches Wort aus oder wie ein Geflügel mit besonderen  Erbmerkmalen, doch unordentlich ausgesprochen und auf der ersten Silbe betont kann man den Wienerischen, den ostösterreichischen, ja eigentlich sogar den bairischen Dialekt heraushören. „Gengans“ bedeutet wörtlich übersetzt „Gehen Sie“ und wird unter anderem mit einem Fragezeichen versehen auch für „Wirklich?“ verwendet.

Bleiben wir aber beim Rufzeichen und der heutigen Motivation: Gengans!

Gehen ist mit Abstand die einfachste, billigste und gesündeste Art, sich fortzubewegen sowie sich fit zu halten. Beim Gehen werden nicht nur die Beine trainiert, denn jene Muskeln, welche die Beine heben und wieder absetzen befinden sich am Gesäß und im Bauchraum. Bauch-, Brust- und Rückenmuskulatur, besonders die großen Rückenstrecker neben der Wirbelsäule, werden durch das Aufrechthalten des Oberkörpers und des Kopfes beansprucht und müssen bei jedem Schritt die Balance halten. Durch das Schwingen der Arme bei forciertem Gang werden ebenso Schulter- und Armmuskeln benutzt. Gehen ist demnach ein Ganzkörpertraining.

Da in der Natur stets mit einem Minimum an Energieverbrauch gearbeitet wird, gibt es Mechanismen, die ein nahezu automatisiertes Gehen ermöglichen. Beim Gehen durch die Stadt oder auf befestigten Wegen genügt ein unbewusster Blick und wir erkennen, dass auf den nächsten Metern der Untergrund eben und ohne Hindernisse bleibt. In solch einem Fall verselbständigen sich  die nächsten Schritte – der Trainingseffekt ist dadurch jedoch stark reduziert. Erst dann, wenn kein Schritt dem anderen gleicht, also auf unebenem Terrain wie z.B. einem Waldboden erhöhen sich der Energieverbrauch und damit die Effizienz der Bewegung. Über Stock und über Stein muss vermehrt Balance gehalten werden, was die Muskulatur des gesamten Körpers weit mehr beschäftigt.

Die seinerzeit propagierten 10000 Schritte pro Tag sind nicht zwingend notwendig, aber mehr ist in diesem Fall wirklich mehr. An der Universität Graz haben neueste Forschungen ergeben, dass das Risiko, an irgendeiner Krankheit frühzeitig zu versterben, mit 1000 Schritten mehr pro Tag um 15 Prozent sinkt. Schon 500 Schritte mehr täglich reduzieren das Risiko für eine tödlich verlaufende Herz-Kreislauf-Erkrankung. Die einfachste Methode, ohne Schrittzähler auszukommen, ist jene, jeden Tag 30 Minuten Bewegung zu machen, allerdings mit dem wichtigen Nebensatz: „um der Bewegung willen“. Der Körper kann sehr wohl unterscheiden, ob wir im Stress einer Straßenbahn nachhetzen oder allein um der Bewegung willen wandern gehen.

Nordic Walking ist eine nette Alternative zum Gehen, die aber nicht nur Vorteile hat. Durch das verhältnismäßig harte Aufsetzen der Ferse und dem Druck auf den Schultern werden manche Gelenke mehr als nötig belastet. Bei nicht perfekter Ausführung wird gerne das hintere Bein nicht vollständig gestreckt oder gar der Oberkörper nach vorne gebeugt. Die natürlichere Bewegungsabfolge passiert beim Gehen ohne Stöcke, wir sind ja auch ohne Stöcke zur Welt gekommen 😉

Eines der häufigsten Schmerzsyndrome ist die Ischialgie. Hochprozentig wird diese durch eine einseitige Kreuz-Darmbein-Gelenksblockade ausgelöst deren Ursache wiederum hochprozentig in einer Verkürzung und Verspannung der tiefen Bauchmuskulatur wurzelt. Die beste Therapie neben der fachgerechten Behandlung (und nicht etwa Injektionen!) ist das Gehen. Hierbei ist besonders auf die korrekte aufrechte Haltung des Oberkörpers zu achten, zusätzlich sollte das Becken nach vorne geschoben werden. Mit dem Heben des Beines wird die betroffene Muskulatur aktiviert und bei längeren Schritten, bei denen das hintere Bein vollkommen durchgestreckt wird und dadurch länger am Boden bleibt, werden die verkürzten Muskeln gestreckt, ohne in eine kontraproduktive Überdehnung zu kommen.

Kurzum: Gehen ist gesund, macht gesund und hält gesund!

Oiso gengans!