Wie geht es Ihnen?
Stellen Sie sich kurz vor, Sie treffen einen Freund und der sagt zu Ihnen: „Du siehst hervorragend aus, gesund und munter!“. Wie geht es Ihnen mit solch einer Aussage? Und dann stellen Sie sich die gleiche Situation vor und der Freund sagt stattdessen zu Ihnen: „Du siehst aber schlecht aus, müde und abgekämpft!“. Wie geht es Ihnen damit? Der Unterschied ist selbst in der Vorstellung spürbar. Worte haben großen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unseren Gesundheitszustand.
Es gehört schon lange zum guten Ton, gleich nach der Begrüßung eines Freundes oder eines Bekannten ein „Wie geht es dir/Ihnen?“ anzuhängen. Wir erwarten dabei entweder keine Antwort oder eine kurze positive Formulierung wie „Danke, gut!“. Und das ist auch gut so. Sollten wir eine längere Entgegnung erhalten, die womöglich die gesamte Leidensgeschichte des Befragten beinhaltet, kann es für einen der Beteiligten oder für alle beide unangenehm bis peinlich werden.
Angelehnt an den englischen Sprachgebrauch erfordert „How do you do?“ keine Antwort, denn es ist in Wahrheit keine Frage, sondern eine Grußformel, förmlicher und mittlerweile auch altmodischer als „Hello!“ Das englische „How are you?“ ist allerdings eine Frage jedoch keine Erkundigung, denn es erlaubt bloß eine positive und keinesfalls ausführliche Rückmeldung sowie die Gegenfrage. Ähnlich wird das abgekürzte „Howyadoin?“ verwendet – es besteht nicht unbedingt das Interesse herauszufinden, wie es dem Gegenüber tatsächlich geht. Das korrekt ausgesprochene „How are you doing?“ bekundet aber wirkliche Anteilnahme und Aufmerksamkeit, was dementsprechend zu längerer und möglicherweise auch negativer Information führen kann.
Im Deutschen müssen wir sehr genau hinhören, wie denn die Frage nach dem Wohlbefinden gemeint ist. Auf Grund einer bekannten Vorgeschichte oder weil es sich um den besten Freund handelt, ist eine detaillierte Beantwortung durchaus angebracht. Wenn Sie zum Arzt gehen oder zum Therapeuten, ist es ratsam, ehrlich und nicht automatisiert zu reagieren. Auch wenn wir Ihnen im Institut die wöchentliche Frage stellen „Wie geht es Ihnen?“, ist dies kein Willkommensgruß, sondern eine notwendige therapeutische Anamnese. Zweifellos würden Sie auch ohne diese Frage Ihre Beschwerden, Schmerzen etc. bekunden, doch mit einem höflichen Anstoß ist es leichter.
Neben dem „Danke, gut!“, „Alles gut!“, „Jo, eh!“ und ähnlichen nichtssagenden Kommentaren gibt es auch im privaten Bereich jene Menschen, die sich sofort alles von der Seele reden wollen. Sehr selten hört man bei diesen Gelegenheiten etwas über Freude und Glück, fast immer ist es ein Jammern über gesundheitliche, finanzielle oder politische Unzufriedenheit. Der Leidende ist meist erst dann erleichtert, wenn der andere mitleidet und mitjammert. Mit nur wenigen Worten ziehen uns solche Menschen von einem neutralen oder hohen Energielevel hinunter ins Jammertal.
Noch extremer wird die Belastung, wenn ohne die vermeintlich unverfängliche Frage „Wie geht es dir/Ihnen?“ andauernd negative Formulierungen abgesondert werden. Machen Sie einen großen Bogen um solche Menschen! Jeder kennt sie: „Ist das nicht arg, was da grade passiert?“, „Mir tut alles weh!“, „Ich bin zu alt für so etwas!“ oder „Früher war alles besser!“ u.v.m. Schützen Sie sich, ähnlich wie man sich vor ansteckenden Krankheiten schützt – so wenig Kontakt wie möglich!
Jammernde Menschen tun sich selbst nichts Gutes, denn sie sagen sich ja vor, wie schlecht es ihnen geht. Das zu keinem Urteil fähige und stets die Gedanken und Worte erfüllende Unterbewusstsein macht es möglich, dass es schlechterdings (!) so bleibt. Gleichzeitig wird jegliche potenzielle Verbesserung verhindert. Beim Konsumenten solcher geistigen Inhalte passiert leider das Gleiche. Die Ansteckung ist erfolgt, das Wohlbefinden schwindet, die Gesundheit steht am Spiel. Wieder geht es abwärts Richtung Jammertal.
Und sollten Sie sich selbst einmal in dieses Tal gebracht haben, erzählen Sie es nicht jedem. Ohnehin sind die Wenigsten daran interessiert, ob Sie heute Kopfschmerzen haben, ob Sie unter der weltpolitischen Situation leiden, ob Sie schon wieder nicht im Lotto gewonnen haben, ob Sie schlecht geschlafen haben u.ä. Sie verstärken damit Ihre Leiden (denn am Anfang war das Wort), rutschen auf der Skala des Glücks und der Gesundheit immer weiter hinunter und nehmen dabei noch andere mit. Erzählen Sie es uns, wenn Sie zur Behandlung kommen oder erzählen Sie es anderen therapeutischen Fachkräften, die gelernt haben, damit umzugehen und Sie aus dem Tal hinausführen können.
Zu guter Letzt noch ein Tipp: Entgegnen Sie bitte nicht mit dem halblustigen Spruch „Wie die anderen wollen!“. Mit diesen Worten geben Sie jegliche Selbstverantwortung auf, Sie zeigen sich als Spielball Ihrer Umwelt, in den Augen anderer zu nichts fähig und womöglich zu nichts nutze.
Wie geht es Ihnen jetzt?